Samstag, 27. März 2010

Surround über Kopfhörer abhören



So kompakt kann eine Anordnung für gut klingende Surround-Aufnahmen aussehen. Natürlich geht es kleiner - da reicht auch ein nacktes Zoom H2 - und es ist auch nicht ganz nach dem Lehrbuch, denn den Center-Kanal rechnen wir später aus L und R zusammen. Aber für Atmo liefert diese Anordnung ein sehr gutes Klangbild mit schöner räumlicher Tiefe und dank der Rode NT-2A einem soliden Baßfundament, denn gerade im tiefen Keller tut sich in Häfen und der Umgebung von Industrieanlagen doch einiges.

Die hinteren Kanäle werden mit den eigenen Mikrofonen des H4n aufgenommen, hier links im Bild unter dem Schaumnetz-Windschutz.

Allein, wie hört man so etwas auf Reisen ab? Die Mitnahme einer kompletten Lautsprecheranordnung für 5.1 verbietet sich gemeinhin.

Erste Versuche mit einem vierkanaligen "Surround"-Kopfhörer, einem AKG K290, waren ein völliger Fehlschlag. Auch in langen Versuchsreihen war über eine normale Stereo-Ortung hinaus kein Unterschied zu einem gewöhnlichen Stereokopfhörer festzustellen. Gleiches gilt für alle billigen Kopfhörer die angeblich mit mehreren Systemen in den beiden Kapseln irgendwelche 5.1-Lautsprecheranordnungen ersetzen sollen. Rausgeworfenes Geld, allesamt.

Da kann man ebensogut ganz normal in Stereo abhören.

Eindeutig bessere Ergebnisse liefern Lösungen, die das Surroundsignal so aufbereiten, daß es dem Ohr ähnlich wie ein per Kunstkopf aufgenommenes Signal dargeboten wird.

Das Zauberwort hierbei heißt Head-Related Transfer Function, abgekürzt HRTF, eine Technik, die bereits bei Stereo eingesetzt wurde, um die beim Abhören über Kopfhörer irritierende Im-Kopf-Lokalisierung abzustellen. Dabei werden mit elektronischen Mitteln die Unterschiede in Phase, Frequenzgang und Laufzeit nachgebildet, die beim normalen Hören durch unseren Kopf und das Außenohr entstehen. Diese Unterschiede werden anschließend dem Ausgangssignal aufgeprägt und es entsteht ein binaurales Stereosignal, das beim Abhören über Kopfhörer (und nur dann!) den Eindruck erzeugt, man befände sich am Aufnahmeort oder zumindesten in einem Wiedergaberaum mit Lautsprechern. Das Signal wird also eher um den Kopf herum als im Kopf geortet. Das funktioniert zwar nicht immer mit letzter Präzision, hört sich aber für viele Leute deutlich angenehmer an, als die normale Kopfhörerwiedergabe eines für Lautsprecher vorgesehenen Signals.

Weiterentwicklungen dieser Technik sind unterdessen auch in der Lage, 5.1-Surroundsignale so aufzubereiten, daß mit einem normalen Stereokopfhörer ein natürlicher Raumeindruck ohne die nervende Im-Kopf-Lokalisierung erreicht wird. Man sollte bei der Vorn-Hinten-Ortung keine Wunder erwarten, aber der Höreindruck ist schon deutlich räumlicher als bei herkömmlicher Stereophonie.

Als ersten Vertreter dieser Gattung habe ich diese Woche DH Wrapper ausprobiert. Dieses einfache VST-Plugin ist ein cleverer Hack, mit dem sich die bekannte DOLBYHPH.DLL in DAW-Software einbinden läßt. Wenn sie in einem 5.1-Track als Effekt eingesetzt wird, erscheint am Ausgang des Tracks ein binaurales Stereosignal.

Als einzige Einstellmöglichkeit läßt sich der virtuelle Abhörraum wählen (klein, mittel, groß).

Der Effekt ist deutlich hörbar und die Räumlichkeit überzeugt. Leider funktioniert das Plugin hier in Nuendo 2 überhaupt nicht und in Nuendo 4.3 und Reaper 3.4 nur mit dem MOTU Traveller als Ausgabeinterface. Bei Wiedergabe über das EMU 1616M stottert es in beiden Programmen ganz mächtig, wobei das Problem wohl kaum an mangelnder Prozessorleistung liegen kann (Compaq NW8440, T7400, 2 x 2,2 GHz, 3 GB RAM).

Nach längerer Recherche hat sich nun noch ein zweites HRTF-Plugin namens Isone Pro gefunden. Der Entwickler Jeroen Breebaart gehört zu den anerkannten Fachleuten auf dem Gebiet der Psychoakustik.



Isone Pro gibt es in zwei Varianten, für Stereo und für Surround-Signale. Die Anzahl der Einstellmöglichkeiten ist hier schon um einiges größer und es empfiehlt sich, das 16seitige pdf-Handbuch aufmerksam zu lesen.

Dieses Plugin funktioniert in Nuendo 4.3 und Reaper 3.4 mit beiden Geräten problemlos. Das Ergebnis überzeugt bereits in der Grundeinstellung auf Anhieb.

Natürlich hat auch diese Lösung die üblichen Schwächen der Ortung bei Signalen in der Mitte der Basis sowie bei der Unterscheidung zwischen vorn und hinten.

Wenn man das verbessern will, ist ein viel höherer Aufwand erforderlich. So etwas geht nur mit zusätzlicher Hardware, die während der Wiedergabe die Kopfposition überwacht. Denn beim normalen Hören verschaffen wir uns die Vorn-Hinten-Ortung durch ständige leichte Kopfbewegungen, die wir unbewußt ausführen und selbst kaum wahrnehmen. Das muß dann in Echtzeit berücksichtigt werden.


Lösungen, die das können, gibt es, z.B. als Headzone Pro von Beyerdynamic. Die sind aber auch etwas teurer als die 20 Euro für Isone Pro. Und das kriegt deshalb die Empfehlung der Woche.

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