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Mittwoch, 27. Oktober 2010
France Culture: De Grande Synthe, on ne voit pas la mer
Auch wenn hier im Zusammenhang mit Arcelor, Total und dem Hafen fast immer nur von Dünkirchen die Rede ist, befindet sich all dies eigentlich auf dem Gebiet der Stadt Grande Synthe. "Von Grande Synthe aus sieht man das Meer nicht" heißt die Sendung von France Culture, die noch einige Tage lang auf deren Website abrufbar ist.
Tatsächlich liegt Grande Synthe direkt am Meer und dann doch wieder nicht. Denn da, wo einst der Strand war, steht heute das Hüttenwerk. Der Ort ist weiter landeinwärts, gleich dahinter.
Bis zum zweiten Weltkrieg ein Dörfchen im Marschland mit 600 Einwohnern, 1944 von der Wehrmacht in einer Racheaktion völlig zerstört, wuchs Grande Synthe seit der Ansiedlung des Sollac-Hüttenwerks, heute Arcelor, und einiger petrochemischer Unternehmen von 1960 bis Ende der 80er Jahre auf 25.000 Einwohner. Die Stahlindustrie hat ihr Personal seither von fast 20.000 auf knapp 4.000 Beschäftigte abgebaut, und nun ist die Bevölkerungszahl wieder rückläufig. Nachdem seit einigen Tagen klar ist, daß Total die Raffinerie doch schließen darf, und Arcelor gerade angekündigt hat, seine gesamte EDV nach Indien zu verlegen, wird sich dieser Trend fortsetzen.
Dabei hat die Stadt noch Glück. Einer Arbeitslosigkeit von fast 25 Prozent und der Tatsache, daß 45 Prozent der Bevölkerung in irgendeiner Weise Sozialleistungen beziehen, stehen dank der vielen Industrie Gewerbesteuereinnahmen entgegen, die eher einer Kommune mit der vierfachen Bevölkerung entsprechen.
So gehört Grande Synthe seit den 90er Jahren immer wieder zu den Gewinnern des französischen Pendants von "Unser Dorf soll schöner werden", verfügt über eine Vielzahl von Sport- und Kultureinrichtungen und ist von den Gewaltproblemen anderer französischer Städte mit ähnlich hoher Arbeitslosigkeit bisher verschont geblieben.
Daran hat sich zum Glück auch nichts geändert, als das friedliche Zusammenleben von Franzosen und Einwanderern aus Nordafrika im Herbst 2002 auf eine harte Probe gestellt wurde. Der Fernfahrer Joël Damman aus einem Nachbarort - bis dahin völlig unauffällig, wenn man von einer Verurteilung wegen Alkohol am Steuer und gelegentlichen Wildereien absieht, die in dieser Gegend sowieso als Kavaliersdelikt gelten - hat am Abend des 4. Oktober keine Kaninchen gejagt, sondern seine aus Nordafrika stammenden Mitbürger. Aus seinem Geländewagen heraus schoß er vor zwei Gaststätten mit einem Jagdgewehr gezielt auf Menschen. Es gab einige Schwerverletzte und der 17jährige Mohamed Maghara starb im Kugelhagel.
Es ist allein der Umsicht der Familie des Opfers und eines muslimischen Geistlichen zu verdanken, daß es damals keine Gewaltausbrüche gegeben hat. Damman wurde 2005 vom Schwurgericht in Douai zu 25 Jahren verurteilt, davon 16 ohne Möglichkeit der Begnadigung.
Auch dazu gibt es eine Sendung von France Culture, die diesen Fall dokumentiert.
Bemerkenswert ist die Aussage des seinerzeitigen französischen Innenministers zu dieser Tat, der Rassismus sei ein Krebsgeschwür, das er mit aller Macht ausrotten werde. Das hat er damals allen Ernstes gesagt, der heutige Präsident Sarkozy.
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